Der Blog ist ziemlich anachronistisch und wird auch dadurch nicht übersichtlicher, dass wir das Layout geändert und damit dem Ganzen den Look eines Onlineversands für Damenschuhe gegeben haben. Wir haben ziemliche Durststrecken hinter uns, wortwörtlich, aber auch, was anständiges Internet angeht. Deswegen hier der Versuch, ein bisschen Ordnung reinzubringen.
Der letzte Blogeintrag endet mit unserer Ankunft in der Hauptstadt Kenias.
Zu Nairobi gehören Wolkenkratzer, Schmutz, Großstadtfeeling und traurige Armut. Natürlich ist Armut immer traurig, aber hier ist sie irgendwie elender. Eher eine von Drogen zerfressene, von Schmutz besudelte Armut im Gegensatz zu dem armen Beisammensitzen auf dem Land. Kinder auf dem Markt, unter Brücken, auf der Straße, griffen einfach von unten nach unserem Arm, um zu betteln, mit zerrissenen Kleidern und glasigen Augen. Sie waren manchmal 10 oder 11 und high. Da wird man sich noch mal bewusst darüber, was wir für ein Glück haben, dass wir im Freiburger Herdern geboren wurden, wo das größte Ausmaß an mentaler Leidensfähigeit gefragt ist, wenn die Zwiebeln von der Münsterwurscht wieder den Jackenärmel vollgesaut haben, während andere, die genauso viel oder mehr auf dem Kasten haben wie wir, irgendwo im kenianischen Schmutz ohne Perspektiven aufwachsen müssen.
Beim Aufbruch aus Nairobi sind wir erstmal mit 40 Sachen über einen kopfgroßen Backstein gebrettert, wobei uns beide Felgen angebrochen sind, und unser Gepäck auf der vierspurigen Autobahn verstreut lag.
Trotzdem war das alles ein Riesenglück im Unglück. Oder vielleicht eher ein kleines bisschen Unglück in so viel Glück. Glück einfach mal wieder, weil wir so nah an Nairobi waren. Das hätte uns auch in der Wüste passieren können, wir haben zwei neue 28-Zoll-Felgen gefunden, alles wurde in zwei Stunden repariert, und wir konnten noch am gleichen Nachmittag von Neuem starten.
Zwei Tage später, beflügelt vom Enthusiasmus des gerade reparierten Bikes, hat’s uns das andere zerlegt. Das Schaltwerk war falsch eingestellt, ist zwischen die Speichen gekommen, das ganze Ding ist abgebrochen, vollkommen zerfleddert, und die Kette gerissen.
Der Dude in seinem Präriefahrradladen hat irgendwo noch eine Shimano rausgekramt, sie uns angebaut und es ging direkt wieder los.
Leider ist bei der neuen Schaltung jeder Gang gesprungen, was unfassbar nervig war.
Aber manchmal muss man einfach schlau sein. Und nachdem wir von Reifen aufpumpen bis Sattel tauschen schon alle erdenklichen Mechanikertricks ausgepackt hatten, haben wir irgendwann in einem Anflug ungewohnter Genialität die richtigen Schrauben gefunden. Sternstunden der Zweiradmechanik. Seitdem war das Rad zwar nur noch auf drei Ritzeln befahrbar, lief aber wie ein perpetuum mobile.
Wir haben den Mt. Kenya, den zweithöchsten Berg Afrikas, umfahren, haben nachts gefroren wie die Schweine, sind durch Dörfer der Massai und Samburu gekommen, und haben den kenyanischen Flair wahnsinnig gefeiert und sind voll darin eingetaucht.

Nach einer einzigen, langen Abfahrt standen wir mittags wieder in der Steppe. Der Norden Kenias ist Ödnis, einfach Wüste, und heiß. Hunderte Kilometer kam mal wieder nichts, mal hier eine Gazelle, ein paar hässliche Aasgeier, das dazugehörige Aas oder ein paar Gerippe.
Sonst Steine und Sand.

Wir haben uns aber gut gefühlt und uns gefreut, dass unsere Drahtesel unter uns nur genauso viel gewackelt und geruckelt haben, wie sie es eben müssen. Wir sind mittlerweile in solchen Etappen routiniert, wissen, wie viel Wasser wir mindestens brauchen, wie viele Kilometer wir pro Tag fahren können, und sich so sicher und unbeschwert in meilenweiter Ödnis zu fühlen, irgendwo seine Isomatten hinzulegen und am nächsten Tag von der Sonne geweckt zu werden, ist ein feierliches Gefühl.
Und dann Äthiopien. Äthiopien ist der absolute Hammer. Um das zu begreifen, braucht man ungefähr 5 Minuten. In diesen 5 Minuten haben wir uns außerdem über die ganzen Geisterfahrer gewundert, bis wir gecheckt haben, dass jetzt wieder Rechtsverkehr angesagt ist.
Nach monatelanger Abstinenz gab es endlich wieder Kaffee. Äthiopischer Kaffee ist ein eigenes Kapitel. Meistens so süß, dass man direkt ne Kanne Insulin nachspritzen muss, schmeckt aber sau lecker. Außerdem ist der Service besser als daheim, weil man nicht jedes Mal einen seiner Brüder an die Kaffeemaschine komplimentieren muss.
Wir haben uns direkt gefühlte 6 Liter davon reingezogen, waren danach unterwegs wie Jan Ulle auf Koks, bis die Straße, die in Reiseblogs auch „schlechteste Straße Afrikas“ genannt wird, uns einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.
Das waren 100 km Kampf. Der Tag begann am Berg, die Reifen sind im Sand durchgedreht, manchmal mussten wir schieben. Weiter über Steine und Wellblech, zweimal lagen wir auf der Straße und das Rad auf uns, in der Pause haben wir Reifen geflickt, und sind im Busch den dauernden Wünschen unseres Durchfalls nachgegangen. Nach diversen Nervenzusammenbrüchen sind wir irgendwann, wie von Kopf bis Fuß in eine Schweiß-Staub-Suppe getaucht, abends in einem Dorf angekommen und haben wirklich aus dem letzten Loch gepfiffen, was nicht primär an unseren Magenproblemen lag.


Macht aber alles nichts. Egal, wie frustrierend der Tag war, das Essen in Äthiopien lässt einen alles vergessen. Fruchtsäfte in allen Variationen, fermentiertes Sauerteigfladenbrot mit in Rosmarin-Zwiebel-Knoblauchsauce angedünstetem Fleisch, frische Salate und Kaffee an jeder Ecke.

Und die Restaurants sind eine eigene Welt. Die Luft ist geschwängert von tausend Gerüchen und Gewürzen, leise dingelt arabische Musik, auf jedem Tisch steht Räucherkohle, sowas wie Myrrhe, die sich mit den ganzen anderen Gerüchen vermischt. Morgens, mittags und abends werden wir eingeladen. Alle waschen sich die Hände und nach einem kurzen Tischgebet geht es dann los.
Nach und nach werden verzierte Silbertabletts auf dem kniehohen Tisch serviert, eins mit Porzellantässchen, einer Schale Zucker und schwarzem Kaffee, danach ein paar mit Injera, dazu eine Konstruktion mit glühender Kohle, die das darauf brutzelnde Fleisch warm hält. Gelegentlich wird zwischendurch noch ein Tee mit Ziegenmilch, ein bisschen scharfes Gemüse, frisches Brot oder Pasta gebracht. Alle essen von den gleichen Tellern mit den Händen. Ein echtes Festmahl, jeden Tag.
Der Spirit, der bei den Einladungen oft aufkommt, obwohl man sich eigentlich keinen Meter versteht, ist der, dass wir in Äthiopien willkommen sind und alle, unabhängig von Hautfarbe und Religion, gleich sind. Genau unser Ding.
Sowohl beim Kaffee, der von Kindern neben der Straße geerntet und verkauft und dann von Frauen überm Feuer geröstet wird, als auch beim Fleisch kann man den Weg von Anfang bis Ende mitverfolgen. Die Ziegen rennen einem tagsüber permanent vors Rad, werden morgens vor unseren Augen geschlachtet und hängen in kleinen Hüttchen vor dem Restaurant, wo dann so viel abgeschnitten wird, wie wir bestellen.
Eigentlich stand uns Äthiopien ziemlich bevor, im Oktober wurde der Ausnahmezustand verhängt, das Auswärtige Amt warnt, und die Tour d'Afrique lässt dieses Jahr Äthiopien aus. Von bürgerkriegsähnlichen Zuständen war aber bis auf ziemlich viele, bis an die Zähne bewaffnete und chronisch schlecht gelaunte Soldaten nicht viel zu spüren.
Schon nach ein paar Tagen war klar, dass Äthiopien unser absolutes Lieblingsland ist und beflügelt von der kulinarischen Vielfalt sind wir nach Addis geschwebt.


In Addis war es noch mal ein long way to happiness, weil wir die Visa für den Sudan und Ägypten beantragen mussten.
Nach Addis hat sich dann rausgestellt, dass es mit Äthiopien doch nicht ganz so einfach ist. Äthiopien ist ein bisschen wie ein Hundewelpe, eigentlich echt zum Verlieben, aber wenn man grade nicht mehr weiß, wohin mit seiner Begeisterung – pinkelt er auf den Teppich.
Im Fall von Äthiopien heißt das, dass wir morgens mal von wildfremden Menschen zu Kaffee und Injera eingeladen werden, die Leute alle ultra freundlich sind und wir vollkommen begeistert durch die atemberaubende Landschaft fahren, bis hinter der nächsten Kurve plötzlich ein Haufen von Pubertisten steht, die mit Steinen werfen.
Wir dachten immer, wir seien in der Pubertät nervig gewesen, aber die kleinen Penner übertreiben ihre Rolle manchmal komplett und werfen von oben mit faustgroßen Steinen und der Absicht zu treffen. Da fühlt man sich echt wie auf’m Sonderschulwandertag. Man kann immer ganz gut ausweichen, richtig unangenehm wurde die Stimmung aber, als wir einmal in die Dunkelheit gekommen sind und sich das Klima plötzlich geändert hat. Kein „welcome to ethiopia“, stattdessen aggressive „fuck you“ Rufe aus der Dunkelheit, Motorradfahrer, die im Vorbeifahren nach uns treten und Steinhagel von überall.
Man kann 90 Millionen Äthiopier aber nicht einfach über einen Kamm scheren. Schade dass ein paar Ortschaften im Zeitalter niemals endender Pubertät hängengeblieben sind, aber das sind Ausnahmen und wir verlassen Äthiopien voller Begeisterung für Land, Küche und die Jahrtausende alte Kultur.
Danke Leben!

