5. Africa alive - Malawi, Tansania, Kenia

 

Letzten Winter saßen wir zuhause in der warmen Bude und haben ein Buch über Afrika gelesen. Das war für uns alles noch weit weg und so realitätsfern, dieses Leben auf der Straße, die „Muzungu“-Rufe, wenn Kinder einen weißen Mann sehen, dieses afrikanische Fieber. Mittlerweile stecken wir mittendrin, und Afrika ist voll zu unserem Alltag geworden.

 

Weil wir das Ziel hatten, bis Silvester in Arusha, kurz vor der tansianisch-kenianischen Grenze zu sein, saßen wir in den letzten Wochen wie die letzten Einzeller eigentlich nur auf dem Rad, 8-12 Stunden täglich, und sind deswegen auch blogmäßig nicht zu besonders viel gekommen.

Wir sind aber nicht primär für schlechtes Essen und Sonnenbrand nach Afrika gekommen, und wollen deswegen diesmal ein bisschen über unsere Eindrücke schreiben.

Afrika ist nämlich viel mehr als winkende Kinder und Safari.

 

 

Afrika - das sind im Morgengrauen singende Frauen auf der Ladefläche eines Pickups und bei Sonnenuntergang barfüßige Kinder, die einem Ball aus zusammengeknoteten Stofffetzen nachjagen und davon träumen, irgendwann so groß zu werden wie die  Namen auf ihren Trikots.

Afrika sind Sechsjährige, die den ganzen Tag in der Sonne sitzen, Mangos verkaufen, und einem, ohne mit der Wimper zu zucken, den fünffachen Preis ansagen, während der besoffene Vater daneben hockt. Die gleichen Kinder können es aber auch sein, die einem, falls nicht in der Rolle des Brötchenverdieners, am Straßenrand Mangos schenken oder vor Freude kreischen, weil man im Vorbeifahren mit ihnen abklatscht.

Afrika sind Sonnenuntergänge über der Savanne, Radfahrer, die uns mit Rollkragen und Daunenjacke bei 40 Grad im Schatten überholen, während wir unseren letzten Lebenswillen auf den löchrigen Asphalt schwitzen.

Afrika ist eine verrückte Mixtur von mittelalterlichem Alltag und modernen Errungenschaften, wo nur auf Feuern gekocht wird, der Strom mehr weg als da ist, wir abends noch mal zwei Kilometer zur nächsten Wasserstelle laufen müssen, dem Glauben, dass das Aufnehmen eines Fotos gleichbedeutend mit dem Verlust der Seele ist und wo die Landwirtschaft mit von Ochsen gezogenem Pflug betrieben wird. Gleichzeitig sieht man aber auch riesige, schlanke Massai mit den traditionellen Brandwunden unter den Augen, die mit ihrem Samsung auf Facebook unterwegs sind, oder in den Hauptstädten Söhne reicher Manager, die in Nachtclubs Moet versprühen.

Afrika sind Kinder im Grundschulalter, die bei 40 Grad Ziegen hüten. Den ganzen Tag, ohne Wasser, ohne Schule.

 

 

Afrika sind coole Natives wie Francis, der in den Slums für eben solche Kinder eine Schule gründet und ihr sein Leben widmet.

Afrika sind Omas, die auf der Straße tanzen, während das ganze Dorf sie beklatscht, Warzenschweine und Hyänen, die nachts ums Zelt streifen, und hunderte Meter lange Kamelkarawanen, die sinnlos in der Wüste rumstehen.

Afrika sind Busse, die sich von Schlagloch zu Schlagloch schleppen, und dabei Koffer, Kleiderschränke, gackernde Hühner und an den Hufen zusammengebundene Ziegen auf dem Dach geladen haben.

Afrika sind tausende von Moskitos, die einen durch die mit Mückenspray imprägnierte Haut so lange quälen, bis man weinend aufwacht und irgendwann aufgekratzt und mit dem Lachen der Mücken im Ohr wieder einschläft.

Afrika ist ein Kontinent, der von den Frauen am Laufen gehalten wird. Unglaublichen Powerfrauen, bei denen wir immer ein bisschen Schiss haben, dass sie uns die Hammelbeine langziehen, die es aber letztendlich oft sind, die für uns was zum Essen oder einen Platz zum Knacken klarmachen. Oder korrupte Polizisten, die versuchen, komplett willkürliche Gebühren für das Passieren der Straßensperre abzugreifen und sich dabei auf dem schmalen Grat bewegen zwischen fast schon kindlich guter Laune und dem Ausrasten wie ein Kampfhund auf dem Kinderspielplatz.

 

Afrika ist die Verkörperung von Lässigkeit. Das ist die Art von Lässigkeit, die alle degenerierten Berlin-Mitte-Kids sich zu haben einbilden, wenn sie in ihrer künstlich eingefärbten Raw Denim und langem weißen T-Shirt im Footlocker abhängen. Dabei kommen sie aber bei Weitem nicht an die Schaffner der aus Prinzip überfüllten Minibusse ran, die in Sneakers aus achter Hand auf dem Radkasten stehen, neue Fahrgäste durch lässiges Pfeifen in den Bus komplimentieren und dabei eine rosa Hello-Kitty-Cap so unglaublich bescheuert auf dem Kopf sitzen haben, dass es einfach nur cool aussieht.

So dass wir, die wir irgendwo hinten im Bus in Funktionshosen und Klickschuhen perfekt dem Bild des deutschen Napfkuchens entsprechen, nur einen Gedanke haben: „Fuck. Bist du ein cooler Typ.“

„Polepole“ ist der Lifestyle, der dafür sorgt, dass es keine Hektik und keinen Stress gibt. Wenn die Omma vergessen hat, Geld fürs Taxi mitzunehmen, dann wartet das ganze Sammeltaxi eben zehn Minuten auf die Tochter, ohne Gemurre oder unfreundliche Worte. Wir verzweifeln naklar auch gelegentlich, wenn wir mit megamäßigem Kohldampf an der Kasse stehen und die Tante im Supermarkt wieder in Zeitlupe kassiert. Aber das liegt eher an unserem Dauerhunger und der mitteleuropäischen Stressmentalität, die wir so verinnerlicht haben.

Afrika ist Freiheit.

 

 

Freiheit natürlich, für uns, weil es das ist, was wir meistens fühlen, wenn wir wieder on the Road sind, Wind und Sonne im Gesicht haben und irgendwo im Nirgendwo nur von den schwarzen Schatten der Geier über uns begleitet werden. Das Gefühl ist gerade jetzt, wo wir uns an das Radfahren gewöhnt haben, noch mehr unser ständiger Begleiter, als es vielleicht noch am Anfang war. Nicht nur wir spüren das, sondern wir haben auch das Gefühl, dass sich die Menschen trotz der allgegenwärtigen Armut und der vielen Probleme frei fühlen. Frei von Konventionen und gesellschaftlichen Zwängen.

Man hat hier überhaupt keine Scheu, seine Lebensfreude zu zeigen. Abends, in einer Bar in Nairobi, hat ein 150 Jahre alter Mann auf einmal auf dem komplett leeren Dancefloor zur Live Musik die heftigsten Tanzmoves ausgepackt. In Deutschland wäre das der Zeitpunkt, wo die Mütter ihre Töchter einsperren würden, und man langsam anfangen würde, kritisch über die Betreuung in deutschen Altersheimen zu unken. In Kenia haut der Keyborder nochmal richtig in die Tasten und feuert den Opa an, der zwar wahrscheinlich nach seinem Auftritt den Löffel abgibt, aber bis dahin noch sich und sein Leben feiert.

 

 

 

 

 

Diese Unbeschwertheit und Lebensfreude ist bisher das, was uns am besten gefallen hat.

Manche übertreiben es naklar auch bisschen mit ihrer Zwanglosigkeit. Wie die beiden Soldaten auf Patrouille, die mit Gewehren groß wie Weihnachtsbäume zu der Bar kamen, in der wir uns gerade häuslich eingerichtet hatten, weil es Shots für einen Euro gab. Jedenfalls haben sich die Soldaten auch vollkommen abgedichtet, und als sie dann angefangen haben, mit ihren Gewehren rumzufuchteln, war der Moment gekommen, wo es ein bisschen strange wurde.

Aber Afrika ist leider auch Armut. Allgegenwärtig Armut.

In den Städten betteln Kinder mit von Drogen glasigen Augen um Geld für Essen, liegen schlafend im Dreck auf der Straße und selbst die, die zur Schule gehen können, müssen viele Kilometer laufen.

Wir haben mit einem Mädchen geredet, das von morgens um sieben bis abends um sieben im Hotel arbeitet – für 50 Euro im Monat. Sie muss sich mit einem anderen Mädchen ein Kämmerchen und Bett teilen und ihr größter Traum ist es, in Saudi Arabien als Putzfrau für 200 Euro im Monat arbeiten zu können. Dafür hat die Familie auch schon 600 Euro gesammelt und das einem „Agenten“ gegeben, der hat aber leider mit dem Geld einen Polnischen gemacht. Homo homini lupus est. Wenn man so was hört, kommt man ganz schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und merkt, auf welchem Niveau wir meckern. Unsere Sorgen sind, dass das Essen nicht vegan ist oder die Merinowolle dem Schaf nicht vom Bauch gekitzelt wurde, oder wie in unserem Fall, dass wir bald anfangen zu schimmeln, nachdem wir in ungeahnte hygienische Abgründe abgetaucht sind.

Was wirkliche, existenzielle Sorgen sind, haben wir gesehen, als wir in Arusha ein Krankhaus besucht haben, wo nicht das Patientenaufkommen, sondern die rare Verfügbarkeit von fließendem Wasser und Strom bestimmen, wann und ob operiert wird.

Das führt dazu, dass die Menschen erst viel zu spät in größere Städte fahren, um sich behandeln zu lassen. Beine, die von einer kleineren Wunde am Schienbein so weit verfault sind, dass sie amputiert werden müssen, Leute, die mit frakturierten Gliedmaßen erst dann ins Krankenhaus gehen, wenn sie krumm und schief zusammengewachsen sind, sind hier leider normal und oft wird erst behandelt, wenn der Alltag nicht mehr zu bewältigen ist.

Besonders viel wird aber eh nicht gemacht, weil es kaum Medikamente gibt und das, was es gibt, für die Menschen oft nicht bezahlbar ist.

Das soll jetzt nicht der große Betroffenheitseintrag werden, aber das gehört genauso zu unseren Eindrücken und macht vielleicht noch mal deutlich, dass "Ärzte ohne Grenzen" wirklich eine gute Sache ist.

 

Uns geht es nach wie vor super, wir hatten, wie gesagt, ein paar bittere Wochen, in denen wir reichlich in den Pedalen standen, die wir uns aber dadurch versüßt haben, dass Felix vollgas krank wurde, und wir, während er auf dem Rad am Rumreihern war, aus purer Dummheit zweimal 30 Kilometer in die falsche Richtung gefahren sind. Das Essen war dabei so schlecht wie noch nie, was uns, die wir kulinarisch eher Tyrannen sind, besonders hart getroffen hat. Nach dem gestört bergigen, aber traumhaften Malawi sind wir in Tansania voll in die Kultur der Massai und des Chai/Chapati gestrampelt, und wir hatten ein paar wahnsinnig geile Wochen.

 

 

In Arusha haben wir zwei Nächte in einem Bombenhotel geschenkt bekommen, jeden Morgen die panisch entgleisten Gesichtszüge des Kochs genossen, sobald wir uns dem Frühstücksbuffet genähert haben, haben uns ein paar Mal in den Bars die Festplatte neu formatiert und sind vergeblich in der sudanesischen Botschaft rumgesessen.

Wir fahren jetzt weiter nach Äthiopien und hoffen, dass sich die Geschichte vom äthiopischen Hochland als Mythos entpuppt und die mal bisschen auf ihren Bürgerkrieg klarkommen.

 

Love and Pies

 

Benny und Felix

 

 

P.S. Vielen Dank für die ganzen Spenden, mittlerweile stehen wir bei 6321 Euro. Wahnsinn! Ganz vorne mit dabei das Friedrich Gymnasium, unsere alte Schule und die wahrscheinlich geilste Schule Freiburgs. Hier nochmal der Link zum Teilen. 

 

https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/spenden-sammeln?cfd=awdfw#cff